Marianne Gysin, Trachtenschneiderin, Oltingen

Marianne Gysin ist seit 1993 bei uns im Verein. Sie ist – nicht nur auf dem Papier – ein aktives Mitglied! Sie macht bei Ausflügen und Anlässen mit, besucht Kurse und Workshops, ist geschätzte Kuchenlieferantin für Feste und ist auch beim Ebenrain-Tag im Einsatz. Auch wenn sie sagt, die Tätigkeiten im Verein seien für sie eine Bereicherung und auch eine Art Horizonterweiterung, sie also vom Austausch bei den Bäuerinnen und Landfrauen profitiere, sind wir sehr dankbar für das Engagement von Marianne!

Neben dem Ämtli als Kontaktperson der Landfrauen für die Region Oltingen führt Marianne mit Ihrem Mann den eigenen Bauernbetrieb mit den Betriebszweigen Mutterkuhhaltung, Getreide- und Obstbau. In diesem Porträt steht aber eine andere Leidenschaft im Vordergrund: die Trachtenschneiderei!

Bereits seit frühster Kindheit lebte sie durch ihre Grossmutter und Ihre Eltern in und mit diesem Brauchtum. Die Familie feierte wichtige Feste wie Taufe oder Konfirmation in den Festtagstrachten. Die Lehre zur Damenschneiderin ebnete ihr vielleicht den Weg, doch wirklich fasziniert vom Beruf als Trachtenschneiderin war die, nachdem sie Gast bei einer Trachten-Hochzeit war. An diesem Aper lernte sie eine Trachtenschneiderin kennen und konnte bald als erste Lehrtochter im Kanton Baselland bei Susi Rychener in Arisdorf lehren. Seit 1992 hat sie die Anerkennung zur Trachtenschneiderin vom Kanton Baselland.

Während Marianne 4 Kinder grossgezogen, sich um Haus und Hof gekümmert hat, war sie immer am Nähen. Seit rund 8 Jahren erhält sie immer mehr Aufträge.

Zum einen hängt dies sicher mit der Wertschätzung gegenüber dem Brauchtum ab, doch leider auch mit dem Wegfall von Schneiderinnen und Näherinnen, welche aus Altersgründen die Arbeit nicht mehr ausführen können. Mit der Ausbildung zur Trachtenschneiderin folgt Sandra, die Tochter von Marianne, in Mutters Fussstapfen. Marianne hat Sandra und auch Andrea Gschwind ausgebildet. Die praktischen Nähstunden und auch die Materialkunde hat sie den beiden berufsbegleitend beigebracht. Denn leider ist das Berufsbild Trachtenschneiderin in der Schweiz noch nicht einheitlich gelöst. Aber Marianne Gysin hofft, dass es bald eine einheitliche Ausbildung mit Vertiefungsrichtungen (Theaterschneiderin, Pelzbekleidung, Herrenbekleidung, Trachtenschneiderin) geben und so der Beruf auch für junge Menschen wieder attraktiver wird.

Jede Tracht ist wahrhaftig ein Meisterwerk – so investiert Marianne rund 70 Nähstunden in eine Festtagstracht. Die Stickerin arbeitet dann auch um die 70 Stunden für die Stickereien und bis die Schürze, die Begine und die Silber-Klöppelspitze fertig sind, vergehen weitere 31 Stunden.

Eine solche Festtagstracht besteht aus 14 Teilen inkl. Silberbrosche und Schnitzmesser mit Hafte. Für Marianne ist das Obermieder mit Plissee-Jupes-Teil das schwierigste Element an der ganzen Tracht, «da muss man wirklich wissen was man tut» sagt sie. Doch die wirkliche Herausforderung sieht sie im Abändern einer Tracht, denn da müssen Regeln beachtet werden – da zählt jedes Jahr Erfahrung.

Fun fact: Eine geübte Trachtenträgerin benötigt übrigens rund 20 Minuten um die Festtracht anzuziehen, eine ungeübte mindestens 10 Minuten länger und helfende Hände.

«Jesses Maria!» war der Ausruf auf die Frage, wie viele Trachten sie denn schon genäht habe…es werden unzählige sein. So auch ihre eigene Hochzeits-Tracht, die Burgunderblusen des Jodlerchörli Wildenstein und auch Trachten für die Ehrendamen am ESAF 2022 in Pratteln. Marianne hat für diesen Grossanlass auch bereits Anfragen von Lokalpolitikern und Promis erhalten. Diese Entwicklung freut Marianne sehr, denn sie ist der Meinung, dass wir Schweizer öfter und mit Stolz unsere traditionellen Kleider tragen sollten! So wünscht sie sich zum Beispiel auch Roger Federer mal in einer Festtagsmännertracht zu sehen. Sie ist der Meinung, dass er als stolzer Baselbieter und Botschafter der Schweiz in einer Tracht eine gute Figur machen würde!

Einen Wunsch richtet Sie auch an die Landfrauen, denn sie möchte an Festen, Ausflügen und Anlässen wieder vermehrt Bäuerinnen und Landfrauen in Trachten sehen! «Das wäre wirklich wundervoll» ereifert sich Marianne im Gespräch. Und es muss ja nicht mal eine neue Tracht sein. In Mariannes Trachten-Stube warten derzeit rund 60 wunderschöne Trachten auf neue Besitzerinnen. Auf der Internetseite der Trachtenvereinigung BL sind diese zu finden. Den nötigen Feinschliff (Anpassungen) nach der Anprobe übernimmt Marianne persönlich.

Auch wenn die Schneiderinnen weniger werden und «Högli» oder Stoffe teils kaum noch erhältlich sind, Marianne ist überzeugt, dass das Trachtenbrauchtum wichtig ist, denn es verbindet Menschen. Und so gibt sie ihr Wissen und ihre Erfahrung gerne weiter und näht auch künftig mit viel Freude und Fleiss die schönen Trachten.

Marianne Gysin: Spielhof Oltingen

Text: D. Steiner: www.oxygono.ch

18.10.2021